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4 Fragen zu [EOL]. END OF LIFE

Aktualisiert: 2. Okt.

Die Fragen stellte Flori Gugger (Leitender Dramaturg brut Wien)



Digitaler Garten mit toter Fisch


Was war der Ausgangspunkt für [EOL]. End of Life, was hat euch zum Thema inspiriert? Anfang 2021, mitten im bis dahin längsten Corona-Lockdown, arbeiteten wir an unserer ersten digitalen Produktion, der Hyperlink-Installation 404-TOTLINK, die im Auftrag des Impulse Theater Festivals entstanden ist. Eigentlich hätten wir unser Projekt Ungebetene Gäste, welches sich mit dem Phänomen einsamer Begräbnisse auseinandersetzte, live in einer adaptierten Fassung in Köln zeigen sollen, aber Corona hat bekanntlich vielen Vorhaben dieser Art einen Strich durch die Rechnung gemacht – also entschieden wir uns, uns mit den Themen Tod, Einsamkeit und den Spuren, die Menschen hinterlassen, mit digitalen Mitteln auseinanderzusetzen. Schon damals überlegten wir, ein VR-Projekt daraus zu machen, kamen aber seinerzeit noch zu dem Schluss, dass einerseits die Zeit nicht ausreichte, andererseits die VR-Technik nicht fortgeschritten genug war, um das umzusetzen, was uns vorschwebte, weshalb wir uns lieber auf ein Projekt konzentrierten, das auf die Ästhetik der Anfänge des Internets in den 90ern und frühen 00er Jahren referierte. Die Idee einer Umsetzung der Thematik in Virtual Reality im Rahmen der Frage, wie „verlassene Orte“ und die darin enthaltenen menschlichen Spuren in einem möglichen Metaversum der Zukunft aussehen könnten, hat uns aber nicht losgelassen. Mit dem Erscheinen der Quest 3 von Meta, welche leistungstechnisch dem Vorgängermodell in Bezug auf die Hardwareleistung, aber auch den Tragekomfort weit überlegen ist und somit neue Formen des Erzählens möglich macht, war für uns klar, dass jetzt der Zeitpunkt ist, dieses Projekt anzugehen.



Was wünscht ihr euch, worüber die Besucher*innen nachdenken, wenn sie das Stück verlassen – oder währenddessen?


Die Frage, was von uns auf der Welt zurückbleibt, wenn wir selbst bereits tot sind, begleitet uns Menschen ja im Prinzip schon seit Jahrtausenden. Ruinen sind ja erstmal nur verfallene Spuren eines längst vergangenen menschlichen Wirkens – und doch faszinieren sie uns, von den Grundmauern antiker Römersiedlungen hin zum „lost place“-Charme einer stillgelegten Fabrik aus den 60ern. Diese Form von Hinterlassenschaften gibt es natürlich immer noch in der „echten Welt“, aber die privaten Spuren, die wir als Menschen hinterlassen, haben sich mittlerweile maßgeblich in den digitalen Raum verlagert. Anders als in einem feuchten Keller vermodern oder zerfallen diese Spuren im digitalen Raum aber nicht, sie bleiben auf irritierende Weise im Hier und Jetzt verhaftet, verraten sich allenfalls durch Timestamps oder Kompressionsartefakte als Daten aus vergangenen Zeiten. Nehmen wir jetzt noch eine Prise Science-Fiction hinzu (welche aber zugegeben in eine wohl nicht mehr allzu ferne Zukunft blickt) und es kommen noch KI-gesteuerte Abbilder unserer Selbst im digitalen Raum hinzu, die selbst nach unserem Ableben mit unserer Stimme sprechen und unserer Mimik kommunizieren. Vom Doppelgänger-Motiv zur spukenden Ruinenlandschaft steckt im digitalen Raum mehr schwarze Romantik, als man meinen würde, und das Prinzip des „Gespensts“ wurde wohl nie realitätsnäher verwirklicht als in der Idee einer stets präsenten, auf uns und unsere Daten trainierten und doch völlig unvollständigen digitalen Kopie unserer Selbst, die uns selbst überdauert. Wie gehen wir mit diesen Hinterlassenschaften um? Akzeptieren wir sie als sprechende Erinnerungen an einst Dagewesenes? Oder müssen wir an und ab auf den „Delete“-Knopf drücken, damit Gegenwart und Zukunft nicht in einem Meer der Vergangenheit untergehen? Die Antworten auf diese Fragen scheinen zunächst einmal naheliegend, wenn man aber länger darüber nachdenkt, stellen sie sich als komplexer dar, als man zunächst meint. Wir hoffen entsprechend, dass das Publikum beim Verlassen des Stücks die Welt im produktiven Sinne wieder ein bisschen weniger versteht.



Screenshot "[EOL]. End of Life"

Alis, the Supervisor: We can assume that this is Gregory Charleston, seeing as it was a "gregorycharleston1957" who created the virtual space called "forandrew.irl". Gregory isn't an active user but rather a Legacy Avatar. An avatar created by the user in their likeness, utilizing our in-world AI, voice recordings, physical assets and movements, designed to replicate the user after death. There are many reasons why a user chooses to leave behind a Legacy Avatar. In the case of Gregory, we can assume it may have something to do with whomever Andrew is.




Was fasziniert euch an Virtual Reality-Erlebnissen? Wie habt ihr die Performance entwickelt (inhaltlich und technisch)?


Die unmittelbare Gegenwart, die Virtual-Reality-Erlebnisse mittels stereoskoper Bildsynthese und binauralem Ton erzeugen, rückt das Medium eigentlich näher zum Medium des Theaters, gleichzeitig teilt Virtual Reality das Voraufgezeichnete/Vorberechnete und die reine Illusion von Anwesenheit mit dem Medium Film. Es ist weder Theater noch Installation noch Film und etwas völlig Neues. Wir finden die Fragen nach An- und Abwesenheit (von uns selbst wie auch dem, was vor unseren Augen entsteht) ungemein spannend. Dabei beziehen wir uns stets auf „echte“ Virtual Reality – darunter verstehen wir VR-Erfahrungen, die zumindest auf einer ganz grundsätzlichen Ebene eine Interaktion mit der virtuellen Welt vor unseren Augen ermöglichen. Häufig werden ja auch 360-Grad-Filme als „Virtual Reality“ bezeichnet, obwohl diese eben letztlich nur das sind – 360-Grad-Filme, die aber keinerlei Möglichkeit der Interaktion bieten, selbst, wenn diese Interaktion nur darin bestünde, den Kopf einen Meter nach vorne zu strecken, um das Geschehen aus einem etwas anderen Winkel zu betrachten. Es ist diese Form von Interaktion, die unser Gehirn austrickst und in die Illusion kippen lässt, das vor uns Liegende sei tatsächlich dort; zwar werden wir durchgehend daran erinnert, dass es sich nur um eine Illusion handelt, aber dennoch befinden sich unsere Sinne in einem ständigen Widerspruch. Wir fanden das geradezu prädestiniert dafür, uns mit Fragen nach An- und Abwesenheit im ganz konkreten wie auch philosophischen Sinne zu beschäftigen. Wichtig war es uns, die Immersion so stark wie möglich aufrechtzuerhalten – viele VR-Produktionen verwenden Fortbewegungsmittel wie „Teleportieren“ oder das Fortbewegen mittels Joystick, wo man dann sich selbst und den eigenen Blick praktisch steuert wie eine Computerspielfigur. Abgesehen davon, dass insbesondere die letztere Form der Bewegung bei manchen Menschen zu Übelkeit (sogenannter „Motion Sickness“) führen kann, führt sie auch zu einer großen Diskrepanz zwischen tatsächlichem und erwarteten Körpergefühl: Die Immersion wird sofort gebrochen. Deshalb bewegt sich das Publikum bei uns fast die ganze Zeit über „natürlich“ durch die Räume. Programmiert haben wir das Ganze in der Spiele-Engine Unity unter Verwendung von Hand Tracking (um die Notwendigkeit des Einsatzes von Controllern zu vermeiden). Die 3D-Architektur wurde einerseits vom deutschen Architekten Mark Surges entworfen und gebaut und zum Teil von Victoria Halper mittels Lidar-Scans direkt aus der Realität abgescannt.



Erste Tests mit Unity und Meta Quest 3 bei unserer Residency am ZKM


Was waren die größten Herausforderungen im Entstehungsprozess von EOL?


Auch, wenn die Quest 3 ein vergleichsweise leistungsstarkes Gerät ist, muss man sich immer noch vor Augen führen, dass sie letztlich nur die Leistung eines Mittelklasse-Handys hat und mit dieser Leistung zwei hochauflösende Bildschirme mit aufwendig in Echtzeit berechneten 3D-Welten bespielen muss. Wir hatten unterschätzt, wie viel Arbeit in das Optimieren der Leistung fließt. Jede Welt stottert erst einmal, dass einem binnen kürzester Zeit übel wird. Da ein flüssiges Erlebnis nicht nur schön aussieht, sondern auch absolut essentiell ist, damit man die vergleichsweise lange Zeit – unserem Wissen nach hat bisher noch niemand eine 85-minütige VR-Erfahrung gemacht, die am Stück erlebt werden soll – ohne das Auftreten von Übelkeit durchsteht, war das ein teils sehr mühseliger und frustrierender Prozess. Wir haben ja an dem Projekt in einem wirklich kleinen Team jetzt fast ein Jahr lang gearbeitet und mussten uns immer wieder neue Programme und Fähigkeiten aneignen, um unsere Visionen so umzusetzen, wie es uns vorschwebt. Insbesondere das Motion Capturing stellte sich als Herausforderung dar, da hier die leistbare Technik teils noch erhebliche Mängel aufweist – im Prinzip kann man es sich so vorstellen, dass jeder kreative Schritt 10 rein technische Schritte nach sich zieht.



Videobericht über die Konzeptentwicklungszeit am ZKM

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